Zwei Geschwister mit einer unglaublichen Geschichte. Paul und Tilda sind in den Jahren 2015 und 2017 jeweils gesund auf die Welt gekommen. Paul wurde im Alter von 11 Wochen reanimiert. Er konnte wiederbelebt werden. Bei ihm wurde daraufhin eine dilatative Kardiomyopathie mir virusnegativer Myokarditis (Entzündung am Herzen) festgestellt. Von der Notaufnahme und der Intensivstation des Neuköllner Krankenhauses wurde er in das Deutsche Herzzentrum Berlin mehr tot als lebendig verlegt. Dort angekommen, waren wir froh, wenn er die nächsten 6 Stunden überlebte. Notfallmäßig wurde ihm eine Ecmo implantiert. Da sein Herz vorerst keine Erholung aufwies, operierte man ihn erneut und man implantierte ein Assist Device der Firma Berlin Heart. Dieses System wurde ihm in den linken Ventrikel eingebaut und ermöglichte so, dass Pauls Kreislauf weiter funktionieren konnte. Mit diesem Assist musste er dauerhaft im Krankenhaus leben.

Für uns Eltern begann eine Zeit des Bangen und Hoffens. Durch die Reanimation hat Pauls Gehirn einen massiven Sauerstoffmangel erlitten. Ein großer Teil seines Gehirns ist abgestorben – er wird fortan ein anderes Leben mit Beeinträchtigung führen. Durch die Behinderung würde er nicht transplantiert werden. Eine Kardiomyopathie bedeutet in vielen Fällen, dass die Betroffenen eine Organspende und somit eine Transplantation benötigen. Auch bei Paul waren sich die Ärzte relativ sicher, dass sich sein Herz nicht erholen würde und er transplantiert werden müsse. Um auf die Transplantationsliste zu kommen, müssen verschiedene Kriterien erfüllt werden, da die Organe äußerst knapp sind.  Kinder mit Behinderung werden in den meisten Fällen nicht transplantiert. Paul wäre durch den Gehirnschaden nicht transplantiert worden.

Drei Monate gaben die Ärzte Pauls Herzen die Chance sich zu erholen. Drei Monate des Hoffens und Bangens, drei Monate der Ungewissheit, ob unser Kind sterben wird oder, ob er bei uns bleibt. Paul ist ein Kämpfer und sein Herz hat sich allen Prognosen zum Trotz erholt. Nach fünf Monaten im Krankenhaus konnte er entlassen werden.

Sein Herz ist seitdem stabil. Allerdings hat sein Gehirn großen Schaden durch die lange Zeit ohne Sauerstoff genommen. Er kann mit seinen zwei Jahren weder sitzen, krabbeln, laufen oder sprechen. Viele Therapien sind nötig, damit er überhaupt auf dem Stand von heute ist. Jeder kleine Entwicklungsschritt ist ein kleiner Gewinn.

 

Im September 2017 ist Tildas Schwester geboren. Nach genetischen Checkups, wurde uns gesagt wir könnten ohne Probleme ein 2. Kind bekommen. Pauls Krankheit sei eine einmalige Sache gewesen. Die Ärzte gingen inzwischen davon aus, dass ein Virus Pauls Entzündung am Herzen ausgelöst hartte. Also eine rein zufällige Erkrankung war – ein Lottogewinn im negativ Sinn.

Die Schwangerschaft verlief komplikationslos mit vielen Check-Ups des ungeborenen Kindes. Alle unauffällig.  Zwei Tage nach Geburt wurde Tildas Herz untersucht. Alles schien bestens. Allerdings kam mir ihr Schwitzen beim Trinken merkwürdig vor, sodass ich einen Monat nach ihrer Geburt zum Kardiologen gegangen bin. Auch bei diesem Termin schien zunächst alles in Ordnung. Das Langzeit EKG zeigte einen etwas schnelleren Puls als normal, weswegen wir nach 12 Tagen nochmals zur Kontrolle kommen sollten. Dieser Termin war ein großer Schock. Innerhalb von 12 Tagen hatte sich ihr Herz vergrößert und der linke Ventrikel pumpte nur noch auf einem sehr geringen Niveau. Ihre Herzleistung war auf 1/3 gesunken. Die Einweisung ins Deutsche Herzzentrum Berlin folgte. Es war für uns wirklich unfassbar. Tilda kam auf den gleichen Bettplatz wie Paul damals – wir fühlten uns wie in einem Alptraum, aus dem man nicht mehr erwachte. Tilda hielt sich über einen Monat relativ stabil mit ihrer schlechten Herzleistung unter einem starken Herzunterstützungsmedikament. Sie verschlechterte sich nicht, die Herzleistung wurde aber auch nicht besser. Nach vier Wochen wurde sie innerhalb von drei Tagen wieder sehr schlecht. Sie wurde auf die Intensivstation verlegt. In der ersten Nacht wurden wir noch angerufen, dass sie Tilda intubieren mussten. Inzwischen war klar, sie würde auch einen Assist Device benötigen und ein fester OP Termin wurde gesetzt. Doch dieser Termin konnte nicht eingehalten werden. In der 2. Nacht wurden wir wieder angerufen, Tilda stünde kurz vor der Reanimation. Um dies zu verhindern muss die Ecmo implantiert werden. Tilda war zwischenzeitlich in solch schlechtem Zustand, dass sie auf der Intensivstation operieren mussten und sich nicht mehr getraut haben in den OP zu fahren. Sie übersteht alle OPs gut und die Zeit des Wartens beginnt wieder. Genau wie bei Paul wussten wir nicht, was passieren wird – erholt sich ihr Herz oder muss sie transplantiert werden? Jeden Tag ins DHZB fahren, Tilda bespaßen, hoffen, bangen, sich mit Ärzten auseinandersetzen.

Der 1. Pumpenstopp war so lala. Sie wollten zwei weitere Monate warten, bis sie die Pumpe erneut anhalten und im Schall beobachten, wie ihr Herz von allein arbeitet. Dieser Stopp war so gut, dass sie früher als geplant im Herzkatheter den alles entscheidenden Pumpenstopp vornehmen wollten. 50 Minuten wurde die Pumpe angehalten und ihr Herz hat gut gearbeitet, so gut, dass sie entschieden den Assist Device auszubauen. Trotz der guten Nachricht hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl, was sich leider bestätigte. Die OP zum Ausbau verlief sehr gut. Auch die ersten 6 Tage hat sie sehr gut mitgemacht, sodass sie relativ schnell wieder auf die Normalstation kam. Dort wurde sie leider von einen auf den anderen Tag wieder sehr schlecht. Das ist leider nicht sofort aufgefallen, sodass die Ärzte noch in aller Ruhe ihre Visite begonnen haben, bevor sie sich Tilda genauer anschauten. Sie ist dann wieder auf die Intensivstation gekommen und einer der schlimmsten Monate meines Lebens begann. Auf und ab – Herz etwas besser, wieder schlechter, Tilda wird wieder intubiert, extubiert mit dem Ende, dass der Assist wieder eingebaut werden muss. Dieser Einbau bedingt eine Listung für die Transplantation. Wir haben uns mit der Entscheidung sehr schwer getan und fragten uns permanent, ob diese Transplantation nicht ein aufgeschobener Verlust unseres Kindes ist, oder ob es einfacher ist, sie als Baby gehen zu lassen. Da wir aber nicht wissen, wie sie ein Spenderherz annehmen wird, haben wir uns dafür entschieden sie listen zu lassen.

Seitdem lebt Tilda weiterhin im DHZB, wir fahren jeden Tag in die Klinik und wechseln uns in der Betreuung von Tilda ab. Nebenher müssen wir noch Paul organisieren, der sehr unter der Situation leidet. Wir haben uns dazu entschieden, dass Marc seine Arbeitszeit reduziert und ich weiterhin in Elternzeit bleibe. Auch wenn es finanziell äußerst knapp wird, geht es einfach nicht mehr anders.

Tilda entwickelt sich trotz Assist aber zum Glück ganz gut. Natürlich ist sie nicht auf dem Stand eines gesunden Babys in ihrem Alter, wir freuen uns jeden Tag über eine neue kleine Entwicklung.