Ein Leben ohne Sonde?

 

Sonde – das ist ein kleiner Plastikschlauch, der zur Ernährung des Patienten beiträgt. Unterschieden wird zwischen Nasen- und der PEG – Sonde. Eine Nasensonde bekommen Kinder (oder auch Erwachsene), die beatmet aus der OP kommen oder solche Kinder, die zu schwach zum Trinken sind. PEG Sonden werden bei dauerhafter Nahrungsverweigerung gelegt oder aus anderen Gründen, wenn es dauerhaft nicht mehr möglich ist, die Nahrung über den Mund aufzunehmen. Eine PEG Sonde wird über den Bauchraum in den Magen eingeführt. Es gibt spezielle Sondennahrung, die hoch kalorisch ist. Bei unseren Kindern wurde die Sonde über die Nase gelegt, bekamen Muttermilch bzw. Pre Ha Nahrung.

Eine Sonde ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits hilft sie den Patienten zu ernähren, doch wenn Patienten über einen langen Zeitraum per Sonde ernährt werden gewöhnen sie sich daran. So auch bei Paul. Über seinen kompletten Krankenhausaufenthalt hat er es nicht gelernt wieder zu trinken. Welch ein Stress für uns Eltern. Im Krankenhaus bekommen die Kinder feste Essenszeiten, alle vier Stunden muss eine bestimmte Menge an Flüssigkeit getrunken werden. Welches Kind trinkt schon alle vier Stunden zu einer bestimmten Uhrzeit eine bestimmte Menge an Milch. Das ist gegen alles Natürliche und bereitet einen noch zusätzlichen Stress, wenn es darum geht seinem Kind Essen zu geben. Bei Paul waren wir froh, wenn er 20-30ml trank. So zog sich eine 8 Uhr Mahlzeit bis 12 Uhr, um 12 sollte er aber schon wieder volle 170ml trinken. Wir wollten unbedingt, dass er ohne Sonde nach Hause entlassen wurde. Vom Herz her war er so stabil, sodass er hätte entlassen werden können, aber das Essen funktionierte überhaupt nicht. Nach Entlassung habe ich 10 Flaschen ausprobiert und aus keiner einzigen hat Paul getrunken. Paul und ich saßen heulend vor seinen Flaschen, er hungrig und ich verzweifelt. Im Entlassungsbrief hieß es, dass Paul eine fest installierte PEG Sonde bekommen soll, wenn er weiterhin nicht zunimmt und wieder trinken lernt. Das wollten wir in jedem Fall verhindern.

Wir hatten das große Glück auf Reha in Wandlitz eine unglaublich gute Logopädin zu treffen. Recherchen zuvor im Internet ergaben, dass Sonden Entwöhnungen privat finanziert werden müssen und um die 8000€ kosten. Die Kassen übernehmen oft nicht diese Kosten, allerdings werden die Kosten für eine PEG Sonde übernommen, die langfristig gesehen viel höher sind.

Bei Paul dauerte die Sonden Entwöhnung vier Wochen. Zu Beginn galt es herauszufinden, ob er den Saugreflex noch hatte. Zum Glück war dem so. Die Logopädin wunderte sich nicht, dass Paul nicht mehr trank. Er versuchte über die Zunge zu kompensieren, was er durch den nicht mehr auszulösenden Saugreflex nicht mehr schaffte zu trinken. Bestimmte Punkte im Mund können stimuliert werden, sodass Saugreflexe ausgelöst werden. Diese Punkte galt es durch Mundgymnastik durch die Logopädin wieder zu stimulieren.

Zu Beginn der Sondenentwöhnung trank Paul Anti-Reflux Nahrung, da er durch die lange Zeit der Sondierung nach jeder Mahlzeit erbrach. Wir sollten schnellstmöglich eine Pre Ha Nahrung finden, die Paul zu sich nahm. Das war gar nicht so leicht. Er hatte sich an die feste Milch gewöhnt und nun hatten wir als zusätzliche Herausforderung die dünne Milch dazubekommen. Jedes bisschen an Milchmenge musste notiert werden. Zu Beginn bestand der ganze Tag fast nur noch aus dem Versuch Paul etwas Milch einzuflößen. Alles dreht sich nur noch darum, dass Paul genug trank, damit er keine Sonde gelegt bekommt. Wir befanden uns nach ca. einer Woche in einer Sackgasse. Irgendwie klappte nichts so richtig – die dünne Milch war ein Problem, die permanente Suche nach einer richtigen Flasche, die Milchmenge war zu wenig, sodass wir ihn nachts wieder sondieren sollten. Paul schlief zu diesem Zeitpunkt schon durch, sodass wir uns einen Wecker um 1 Uhr und um 4 Uhr nachts stellten. Die Begleitung der Logopädin über einen ganzen Tag brachte die Wende. Ab diesem Tag hat er konstant dünne Milch bekommen, es stellte sich heraus, dass er mit einer MAM Flasche und dem 2er Sauger am besten trank. Von nun an mussten wir ihm alle zwei Stunden die Flasche anbieten, ob er trinken wollte oder nicht. Während einer Mahlzeit durften wir keine Pausen machen, maximal eine neue Windel anlegen. Die Trinkmenge sah mit 40-50ml pro Mahlzeit immer noch sehr gering aus, wenn man über den Tag verteilt die Menge betrachtete, steigerte sich Paul von Tag zu Tag etwas mehr. Nach zwei Wochen Sonden Entwöhnung gingen wir auf alle drei Stunden hoch. Zwischen den Mahlzeiten war Nahrungsaufnahme freie Zeit. Nur so lernen die Kinder ihre Trinkmengen wieder zu steigern. Nach 4 Wochen Reha sind wir ohne Sonde und einem Kind nach Hause gefahren, welches allein trinken konnte. Zu Hause lockerte sich langsam der 3 Stunden Rhythmus und Paul durfte mehr und mehr trinken, wann er wollte. Er hat gelernt uns zu zeigen, wann er Hunger hat.

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn das eigene Kind wieder trinken bzw. selbst essen kann ohne die Hilfe einer Sonde. Eine Sonden Entwöhnung ist für die Kinder und die Eltern eine sehr harte Zeit, der Kampf lohnt sich aber allemal.